Okay – es ist alles gut.
Alles gut.
Ist jemand verletzt?
Wir müssen jetzt ganz stark sein, das ist ganz besonders wichtig.
Wir müssen der Wahrheit jetzt ins Auge sehen: Weihnachten ist vorbei.
Dort, wo wir uns noch gestern gemeinsam Arm in Arm der eisigen Kälte entgegengestellt und frohen Mutes weihnachtliches Liedgut in den kristallklaren Winterhimmel gesungen haben, fegen heute die unerbittlichen Kehrmaschinen der Zeit all das Lametta und Engelshaar in die stinkende Unterwelt und hinterlassen nichts weiter als blanke Wirklichkeit. Ja, die Welt ist ein grausamer Ort. Gerade hatten wir es einigermaßen geschafft, uns mit solch komplexen Dingen wie Frieden, Harmonie und Nächstenliebe zu arrangieren – und jetzt soll’s das schon wieder gewesen sein. Aus der Traum, geplatzt wie eine Seifenblase – wer hätte das jemals gedacht…
Es sollte doch alles so perfekt sein – eben genauso, wie es einem das Fernsehen verspricht. Stattdessen gab’s nur wieder die übliche Zickerei mit der dicken Steffi unterm Weihnachtsbaum, end- und uferlose politische Diskussionen mit Onkel Bernd beim Weihnachtsessen und zwischen all dem eine noch rastlosere und überdrehtere Mutti als üblicherweise. Nicht zu vergessen die massiven Verdauungsprobleme wegen des ungewohnt fettigen Essens und die saftig-schmerzhafte Nierenbeckenentzündung nach dem widerwilligen Gottesdienstbesuch in irgendeiner ungeheizten ungemütlichen Dorfkirche.
“War DAS nun den ganzen Stress wert?” fragen wir uns, während wir bereits in der nächsten Schneeverwehung steckenbleiben. Keiner reicht Glühwein, keiner singt ‘White Christmas’ – nur schlechtgelauntes Bahnpersonal, überteuerter Automatenkaffee und flackerndes Neonlicht.
Und dann stehen wir da, auf dem Schlachtfeld zwischen den Trümmern einer besseren Welt – mit der unweigerlichen Gewissheit, dass uns mit den Monaten Januar und Februar die schrecklichste Zeit des Jahres bevorsteht, die an Unerträglichkeit kaum zu überbieten ist. Aber alles Jammern hilft nichts – wir werden uns wie jedes Jahr mit verhärmten Gesichtern durch den endlos langen grauen Großstadtwinter schleppen müssen und uns fragen, wo denn an diesen Tagen bitteschön die Legitimation bleibt, sich wenigstens in jenes wohlige Delirium trinken zu dürfen, welches uns den ganzen Dezember hindurch begleitet hat: dort gewährte man uns schließlich an fast jeder Ecke, egal zu welcher Tageszeit, die heiße Tasse unverfälschter Glückseligkeit – im Durchschnitt für 2,50€, Pfand inklusive. Nun wird man schon schräg angeguckt, wenn man mit der Flasche Cointreau in der Hand mal eben zum Edeka geht…
Kein Mensch trägt mehr lustige rote Mützen außer der ABC-Abwehr und der Panzer-Artillerie und außer im Thai-Massageparadies im fünften Stock eines sozialistischen Lichtenberger Plattenbaus blinkt auch kein einziges buntes Licht mehr in den Fenstern. Die Weiße Weihnacht entpuppt sich als arbeitnehmerfeindlicher Alptraum, besinnliches Glockengeläut weicht dem unaufhörlichem Geheul irgendwelcher Krankenwagensirenen und anstelle von liebevoll gestalteter Grußkarten mit Weihnachtsgrüßen von Tante Heidi oder der Stammapotheke schreibt uns von nun an wieder lediglich das Finanzamt. Diese Jahreszeit verlangt einem eine ganze Menge ab, und das nicht nur emotional: spätestens die aktuellsten Ausdrucke aus den Kontosauszugsdruckern rufen uns unsanft in die Realität zurück.
Es ist jedes Jahr dasselbe – ein Gefühl, als würde man nach einer durchzechten Nacht mit einem riesigen Kater aufwachen. Jeder, der schon einmal einen mehrtägigen Urlaub in Disneyland hinter sich hat, kennt dieses Gefühl sicher nur zu gut: der paralysierte Freudentaumel durch idealisierte Farbkopien unserer Realität findet seinen Abschluss immer und unausweichlich mit der farblosen Tristesse französischer Autobahnen und der ernüchternden Erkenntnis darüber, dass die Wirklichkeit nun einmal nicht immer so glanzvoll und glamourös sein kann, wie wir sie gern hätten. Ist das nicht deprimierend? So ist es schließlich kein Wunder, dass das Weihnachtsfest für so viele unserer Mitmenschen unter dem Triebwagen eines ICEs irgendwo zwischen Fulda und Kassel endet.
Von diesem Standpunkt aus gesehen geht es uns wiederum doch ganz gut: ist auch die Flamme feierlich-festlicher Euphorie in unseren Herzen erloschen, so können wir uns immerhin glücklich schätzen, dass wenigstens die preisgünstige taiwanesische Lichterkette aus dem Asia-Shop während unserer Abwesenheit keinen Kurzschluss verursacht und unsere Wohnung in Brand gesteckt hat.
Dabei haben wir doch nichts weiter gewollt, als ein bisschen Ruhe in einer hektischen Zeit. Dass die in diesem Zusammenhang so oft verwendete Standardformulierung der paar “besinnlichen Tage im Kreise der Familie” nichts weiter ist als schiere Illusion, eine Seifenblase, ein Oxymoron – das wird uns erst dann bewusst, wenn wir mit aller Macht zum Stehenbleiben gezwungen werden. Und der einzige Moment der Stille scheint uns nurmehr vergönnt zu sein im Großraumabteil eines stehenden ICEs irgendwo im hinterdeutschen Niemandsland, wo sich wieder irgendeine verzweifelte Seele auf die Gleise geworfen hat.
Passen wir also auf, dass wir es im nächsten Jahr nicht selber sind…
Der Tag danach
Okay – es ist alles gut.
Alles gut.
Ist jemand verletzt?
Wir müssen jetzt ganz stark sein, das ist ganz besonders wichtig.
Wir müssen der Wahrheit jetzt ins Auge sehen: Weihnachten ist vorbei.
Dort, wo wir uns noch gestern gemeinsam Arm in Arm der eisigen Kälte entgegengestellt und frohen Mutes weihnachtliches Liedgut in den kristallklaren Winterhimmel gesungen haben, fegen heute die unerbittlichen Kehrmaschinen der Zeit all das Lametta und Engelshaar in die stinkende Unterwelt und hinterlassen nichts weiter als blanke Wirklichkeit. Ja, die Welt ist ein grausamer Ort. Gerade hatten wir es einigermaßen geschafft, uns mit solch komplexen Dingen wie Frieden, Harmonie und Nächstenliebe zu arrangieren – und jetzt soll’s das schon wieder gewesen sein. Aus der Traum, geplatzt wie eine Seifenblase – wer hätte das jemals gedacht…
Es sollte doch alles so perfekt sein – eben genauso, wie es einem das Fernsehen verspricht. Stattdessen gab’s nur wieder die übliche Zickerei mit der dicken Steffi unterm Weihnachtsbaum, end- und uferlose politische Diskussionen mit Onkel Bernd beim Weihnachtsessen und zwischen all dem eine noch rastlosere und überdrehtere Mutti als üblicherweise. Nicht zu vergessen die massiven Verdauungsprobleme wegen des ungewohnt fettigen Essens und die saftig-schmerzhafte Nierenbeckenentzündung nach dem widerwilligen Gottesdienstbesuch in irgendeiner ungeheizten ungemütlichen Dorfkirche.
“War DAS nun den ganzen Stress wert?” fragen wir uns, während wir bereits in der nächsten Schneeverwehung steckenbleiben. Keiner reicht Glühwein, keiner singt ‘White Christmas’ – nur schlechtgelauntes Bahnpersonal, überteuerter Automatenkaffee und flackerndes Neonlicht.
Und dann stehen wir da, auf dem Schlachtfeld zwischen den Trümmern einer besseren Welt – mit der unweigerlichen Gewissheit, dass uns mit den Monaten Januar und Februar die schrecklichste Zeit des Jahres bevorsteht, die an Unerträglichkeit kaum zu überbieten ist. Aber alles Jammern hilft nichts – wir werden uns wie jedes Jahr mit verhärmten Gesichtern durch den endlos langen grauen Großstadtwinter schleppen müssen und uns fragen, wo denn an diesen Tagen bitteschön die Legitimation bleibt, sich wenigstens in jenes wohlige Delirium trinken zu dürfen, welches uns den ganzen Dezember hindurch begleitet hat: dort gewährte man uns schließlich an fast jeder Ecke, egal zu welcher Tageszeit, die heiße Tasse unverfälschter Glückseligkeit – im Durchschnitt für 2,50€, Pfand inklusive. Nun wird man schon schräg angeguckt, wenn man mit der Flasche Cointreau in der Hand mal eben zum Edeka geht…
Kein Mensch trägt mehr lustige rote Mützen außer der ABC-Abwehr und der Panzer-Artillerie und außer im Thai-Massageparadies im fünften Stock eines sozialistischen Lichtenberger Plattenbaus blinkt auch kein einziges buntes Licht mehr in den Fenstern. Die Weiße Weihnacht entpuppt sich als arbeitnehmerfeindlicher Alptraum, besinnliches Glockengeläut weicht dem unaufhörlichem Geheul irgendwelcher Krankenwagensirenen und anstelle von liebevoll gestalteter Grußkarten mit Weihnachtsgrüßen von Tante Heidi oder der Stammapotheke schreibt uns von nun an wieder lediglich das Finanzamt. Diese Jahreszeit verlangt einem eine ganze Menge ab, und das nicht nur emotional: spätestens die aktuellsten Ausdrucke aus den Kontosauszugsdruckern rufen uns unsanft in die Realität zurück.
Es ist jedes Jahr dasselbe – ein Gefühl, als würde man nach einer durchzechten Nacht mit einem riesigen Kater aufwachen. Jeder, der schon einmal einen mehrtägigen Urlaub in Disneyland hinter sich hat, kennt dieses Gefühl sicher nur zu gut: der paralysierte Freudentaumel durch idealisierte Farbkopien unserer Realität findet seinen Abschluss immer und unausweichlich mit der farblosen Tristesse französischer Autobahnen und der ernüchternden Erkenntnis darüber, dass die Wirklichkeit nun einmal nicht immer so glanzvoll und glamourös sein kann, wie wir sie gern hätten. Ist das nicht deprimierend? So ist es schließlich kein Wunder, dass das Weihnachtsfest für so viele unserer Mitmenschen unter dem Triebwagen eines ICEs irgendwo zwischen Fulda und Kassel endet.
Von diesem Standpunkt aus gesehen geht es uns wiederum doch ganz gut: ist auch die Flamme feierlich-festlicher Euphorie in unseren Herzen erloschen, so können wir uns immerhin glücklich schätzen, dass wenigstens die preisgünstige taiwanesische Lichterkette aus dem Asia-Shop während unserer Abwesenheit keinen Kurzschluss verursacht und unsere Wohnung in Brand gesteckt hat.
Dabei haben wir doch nichts weiter gewollt, als ein bisschen Ruhe in einer hektischen Zeit. Dass die in diesem Zusammenhang so oft verwendete Standardformulierung der paar “besinnlichen Tage im Kreise der Familie” nichts weiter ist als schiere Illusion, eine Seifenblase, ein Oxymoron – das wird uns erst dann bewusst, wenn wir mit aller Macht zum Stehenbleiben gezwungen werden. Und der einzige Moment der Stille scheint uns nurmehr vergönnt zu sein im Großraumabteil eines stehenden ICEs irgendwo im hinterdeutschen Niemandsland, wo sich wieder irgendeine verzweifelte Seele auf die Gleise geworfen hat.
Passen wir also auf, dass wir es im nächsten Jahr nicht selber sind…
Text Herr von Keil
Illustration Tim Brackmann