Jeder Mensch braucht irgendein Hobby.
Irgendetwas, das ihn von der Tristesse der alltäglichen Einöde zwischen Job, Nahrungsaufnahme und ehelicher Verpflichtungen ablenkt. Glücklicherweise bietet sich uns als komfortverwöhnten Westeuropäern eine reiche Palette an individuellen Gestaltungsmöglichkeiten für die Zeit zwischen Stechuhr und Schlafengehen. Manch einer spielt Fußball oder Tischtennis, wieder ein anderer spielt lieber Wii oder verzockt sein mageres Gehalt in der schmuddeligen Spielothek im Bahnhofsviertel – was die Freizeitplanung angeht, ist der Phantasie der Deutschen glücklicherweise kaum eine Grenze gesetzt.
Doch hin und wieder trifft man auf Zeitgenossen, die sich in ihrer Freizeit mit den wirklich abstrusesten Dingen beschäftigen. In dem Ort, in dem ich aufgewachsen bin, gibt es beispielsweise den obligatorischen Geflügelzüchterverein – sprich: Menschen, die ihre Erfüllung darin sehen, sich in ihrer Freizeit der Aufzucht von Vögeln mit solch exotisch anmutenden Namen wie dem Württemberger Mohrenkopf, dem Westfälischen Totleger oder dem Deutschen Reichshuhn zu widmen. Das ist in ländlichen Gebieten unserer schönen Republik bei weitem nichts Ungewöhnliches. Sie müssen wissen: jede deutsche Ortschaft mit mehr als 3 Einwohnern verfügt über einen solchen Verein. Und ein-zweimal im Jahr treffen sich die emsigsten Geflügelzüchter der Region im Geflügelzüchtervereinsheim und diskutieren mit ernsten Gesichtern und minderwertigem Schnaps ihre Geflügelzüchterangelegenheiten. Das erscheint uns als weltgewandten multikulturellen Großstädtern natürlich völlig lächerlich und hinterwäldlerisch. Hier in Berlin sind wir schließlich ganz andere Dimensionen gewohnt – hier in Berlin gibt es schließlich die Fashion Week.
Für all jene von Ihnen, die selber nicht aus Berlin kommen oder – wie ich – Veranstaltungen wie jene aufgrund mangelnden Interesses bisher einfach immer gemieden haben, werde ich die wichtigsten Eckdaten mal kurz zusammenfassen:
Die Fashion Week Berlin ist eine durch Sponsoring finanzierte Modewoche, bestehend aus verschiedenen Shows und Veranstaltungen verteilt über die ganz Stadt, bei der sich Designern aus aller Welt eine Möglichkeit bietet, ihre aktuellen Kollektionen einem breitgefächerten Publikum aus Presse, Prominenz und gemeiner Bourgeoisie zu präsentieren. Falls Ihnen diese Definition aufgrund der hohen Denglisch-Dichte vielleicht zu unverständlich erschien, lässt es sich auch unkomplizierter formulieren: ernste dünne Menschen sehen ernsten, noch dünneren Menschen dabei zu, wie sie Kleidungsstücke vorführen – jedes davon so teuer, dass man mit dessen Reinerlös die Hypothek des Veranstaltungsortes mindestens ums Dreifache ablösen könnte. Selten ist die Parole “Arm aber sexy” plastisch greifbarer gewesen. Somit ist diese Veranstaltung für unsere Stadt natürlich ein wertvolles Ass im Ärmel im weltweiten “Wer-hat-den-Größten”-Spiel – bei mir persönlich allerdings blieb die Faszination für dieses Medienspektakel bisher aus.
Doch warum nur? – Wo sich doch jeder um mich herum so prächtig zu amüsieren scheint.
Überall attraktive, schöne Menschen mit Stoffbeuteln und Duttfrisuren; ein einziger glamouröser Traum aus Glitzer und Hochglanz, tausendfach gebündelt und wieder gebrochen durch die Hornbrille der Berliner Bohème. Eine Woche, die es scheinbar wert ist, ihr entgegenzufiebern – so hört man es jedenfalls an allen Ecken. Doch mehr macht es nicht – es glitzert nur?? Das kann doch nicht alles sein. Ich versteh es einfach nicht. Ich muss mir hier mal irgendwo ein paar Informationen einholen. Irgendjemand muss mir doch sagen können, was das hier alles eigentlich soll!
In einem unbeobachteten Moment schlüpfe ich zwischen all den vielen mageren Beinpaaren hindurch und verschaffe mir Zugang hinter die Kulissen. Alsbald treffe ich zwischen zwei Luftschichten auf ein Model und frage es, wieso es das eigentlich alles macht. “Es macht mir Spaß” sagt das Model und verhungert, bevor ich die Gelegenheit bekomme, weitere Fragen zu stellen. Zu dumm. Jetzt stehe ich wieder da: inmitten eines Blitzlichtgewitters in einem erregten Meer aus Duttfrisuren, immer noch ohne eine zufriedenstellende Antwort, und hadere mit meiner eigenen Unzulänglichkeit.
Unweigerlich muss ich wieder an den Geflügelzüchterverein meines Heimatortes denken. An all die feisten rotfleckigen Gesichter, den billigen Korn und die bizarre Gewichtigkeit von Geflügelzüchterangelegenheiten. Ich denke an die unzähligen Trophäen in den speckigen Vitrinen des Vereinsheims; an schwitzige dicke Menschen, die zur Jahreshauptversammlung der Geflügelzüchter in der Mehrzweckhalle mit ernsten Mienen ihr preisgekröntes Haubenhuhn in die Kamera des Dorfblättchen-Fotografen halten – Dinge, die ich schon damals einfach nicht verstanden habe. “Arme Schweine” denkt intuitiv der weltgewandte Großstädter in mir. Dabei geht es hier ja gar nicht um Schweine, sondern um Hühner. Sei’ s drum – dererlei Veranstaltungen werden mir wahrscheinlich auf ewig ein Mysterium bleiben. Es sei denn…
Kurzerhand kämpfe ich mir den Weg zur Siegertribüne frei, postiere mich vor die stolzen Hühnerzüchtern und in einem unbeobachteten Moment frage ich das Huhn, weshalb es das eigentlich alles mitmacht. Doch noch bevor das Huhn antworten kann, wird es in eine vollautomatisierte Schlachtmaschine geklemmt und geköpft. Mist. Anschließend wird es zu einem schmackhaften Hamburgerbratling verarbeitet, von einer ambitionierten Systemgastronomie-Servicekraft fachgerecht zubereitet und am Duisburger Hauptbahnhof einem dicken unglücklichen Mädchen verkauft, das gerade frisch durch das Casting für eine Model-Fernsehshow gefallen ist.
Spätestens an diesem Punkt schließt sich der Kreis wieder und ich bin beruhigt.
Und während das verheulte dicke Mädchen in seinen Burger beißt und mit unglücklicher Miene in den Zug Richtung Heimatdorf steigt, stehen Menschen mit Hornbrillen, Stoffbeuteln und Duttfrisuren am gegenüberliegenden Bahnsteig und lachen.
Worüber?
Nun, keine Ahnung – aber sicherlich am wenigsten über sich selbst.
Text Herr von Keil
Illustration Tim Brackmann
->
Die Schönen ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen
Jeder Mensch braucht irgendein Hobby.
Irgendetwas, das ihn von der Tristesse der alltäglichen Einöde zwischen Job, Nahrungsaufnahme und ehelicher Verpflichtungen ablenkt. Glücklicherweise bietet sich uns als komfortverwöhnten Westeuropäern eine reiche Palette an individuellen Gestaltungsmöglichkeiten für die Zeit zwischen Stechuhr und Schlafengehen. Manch einer spielt Fußball oder Tischtennis, wieder ein anderer spielt lieber Wii oder verzockt sein mageres Gehalt in der schmuddeligen Spielothek im Bahnhofsviertel – was die Freizeitplanung angeht, ist der Phantasie der Deutschen glücklicherweise kaum eine Grenze gesetzt.
Doch hin und wieder trifft man auf Zeitgenossen, die sich in ihrer Freizeit mit den wirklich abstrusesten Dingen beschäftigen. In dem Ort, in dem ich aufgewachsen bin, gibt es beispielsweise den obligatorischen Geflügelzüchterverein – sprich: Menschen, die ihre Erfüllung darin sehen, sich in ihrer Freizeit der Aufzucht von Vögeln mit solch exotisch anmutenden Namen wie dem Württemberger Mohrenkopf, dem Westfälischen Totleger oder dem Deutschen Reichshuhn zu widmen. Das ist in ländlichen Gebieten unserer schönen Republik bei weitem nichts Ungewöhnliches. Sie müssen wissen: jede deutsche Ortschaft mit mehr als 3 Einwohnern verfügt über einen solchen Verein. Und ein-zweimal im Jahr treffen sich die emsigsten Geflügelzüchter der Region im Geflügelzüchtervereinsheim und diskutieren mit ernsten Gesichtern und minderwertigem Schnaps ihre Geflügelzüchterangelegenheiten. Das erscheint uns als weltgewandten multikulturellen Großstädtern natürlich völlig lächerlich und hinterwäldlerisch. Hier in Berlin sind wir schließlich ganz andere Dimensionen gewohnt – hier in Berlin gibt es schließlich die Fashion Week.
Für all jene von Ihnen, die selber nicht aus Berlin kommen oder – wie ich – Veranstaltungen wie jene aufgrund mangelnden Interesses bisher einfach immer gemieden haben, werde ich die wichtigsten Eckdaten mal kurz zusammenfassen:
Die Fashion Week Berlin ist eine durch Sponsoring finanzierte Modewoche, bestehend aus verschiedenen Shows und Veranstaltungen verteilt über die ganz Stadt, bei der sich Designern aus aller Welt eine Möglichkeit bietet, ihre aktuellen Kollektionen einem breitgefächerten Publikum aus Presse, Prominenz und gemeiner Bourgeoisie zu präsentieren. Falls Ihnen diese Definition aufgrund der hohen Denglisch-Dichte vielleicht zu unverständlich erschien, lässt es sich auch unkomplizierter formulieren: ernste dünne Menschen sehen ernsten, noch dünneren Menschen dabei zu, wie sie Kleidungsstücke vorführen – jedes davon so teuer, dass man mit dessen Reinerlös die Hypothek des Veranstaltungsortes mindestens ums Dreifache ablösen könnte. Selten ist die Parole “Arm aber sexy” plastisch greifbarer gewesen. Somit ist diese Veranstaltung für unsere Stadt natürlich ein wertvolles Ass im Ärmel im weltweiten “Wer-hat-den-Größten”-Spiel – bei mir persönlich allerdings blieb die Faszination für dieses Medienspektakel bisher aus.
Doch warum nur? – Wo sich doch jeder um mich herum so prächtig zu amüsieren scheint.
Überall attraktive, schöne Menschen mit Stoffbeuteln und Duttfrisuren; ein einziger glamouröser Traum aus Glitzer und Hochglanz, tausendfach gebündelt und wieder gebrochen durch die Hornbrille der Berliner Bohème. Eine Woche, die es scheinbar wert ist, ihr entgegenzufiebern – so hört man es jedenfalls an allen Ecken. Doch mehr macht es nicht – es glitzert nur?? Das kann doch nicht alles sein. Ich versteh es einfach nicht. Ich muss mir hier mal irgendwo ein paar Informationen einholen. Irgendjemand muss mir doch sagen können, was das hier alles eigentlich soll!
In einem unbeobachteten Moment schlüpfe ich zwischen all den vielen mageren Beinpaaren hindurch und verschaffe mir Zugang hinter die Kulissen. Alsbald treffe ich zwischen zwei Luftschichten auf ein Model und frage es, wieso es das eigentlich alles macht. “Es macht mir Spaß” sagt das Model und verhungert, bevor ich die Gelegenheit bekomme, weitere Fragen zu stellen. Zu dumm. Jetzt stehe ich wieder da: inmitten eines Blitzlichtgewitters in einem erregten Meer aus Duttfrisuren, immer noch ohne eine zufriedenstellende Antwort, und hadere mit meiner eigenen Unzulänglichkeit.
Unweigerlich muss ich wieder an den Geflügelzüchterverein meines Heimatortes denken. An all die feisten rotfleckigen Gesichter, den billigen Korn und die bizarre Gewichtigkeit von Geflügelzüchterangelegenheiten. Ich denke an die unzähligen Trophäen in den speckigen Vitrinen des Vereinsheims; an schwitzige dicke Menschen, die zur Jahreshauptversammlung der Geflügelzüchter in der Mehrzweckhalle mit ernsten Mienen ihr preisgekröntes Haubenhuhn in die Kamera des Dorfblättchen-Fotografen halten – Dinge, die ich schon damals einfach nicht verstanden habe. “Arme Schweine” denkt intuitiv der weltgewandte Großstädter in mir. Dabei geht es hier ja gar nicht um Schweine, sondern um Hühner. Sei’ s drum – dererlei Veranstaltungen werden mir wahrscheinlich auf ewig ein Mysterium bleiben. Es sei denn…
Kurzerhand kämpfe ich mir den Weg zur Siegertribüne frei, postiere mich vor die stolzen Hühnerzüchtern und in einem unbeobachteten Moment frage ich das Huhn, weshalb es das eigentlich alles mitmacht. Doch noch bevor das Huhn antworten kann, wird es in eine vollautomatisierte Schlachtmaschine geklemmt und geköpft. Mist. Anschließend wird es zu einem schmackhaften Hamburgerbratling verarbeitet, von einer ambitionierten Systemgastronomie-Servicekraft fachgerecht zubereitet und am Duisburger Hauptbahnhof einem dicken unglücklichen Mädchen verkauft, das gerade frisch durch das Casting für eine Model-Fernsehshow gefallen ist.
Spätestens an diesem Punkt schließt sich der Kreis wieder und ich bin beruhigt.
Und während das verheulte dicke Mädchen in seinen Burger beißt und mit unglücklicher Miene in den Zug Richtung Heimatdorf steigt, stehen Menschen mit Hornbrillen, Stoffbeuteln und Duttfrisuren am gegenüberliegenden Bahnsteig und lachen.
Worüber?
Nun, keine Ahnung – aber sicherlich am wenigsten über sich selbst.
Text Herr von Keil
Illustration Tim Brackmann