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Dem Herr von Keil seine Kolumne
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Hoppla – da ist etwas schiefgelaufen.
“Wer sich der Einsamkeit ergibt, ach! der ist bald allein.”
Ja, Goethe war schon ein schlauer Mann.
Und wer ist schon gern allein? Auf wie viele tolle Dinge müsste man verzichten, wenn man nicht mindestens einen anderen Menschen an seiner Seite hat: Discofoxturniere, Teamsitzungen, Arbeitsplatzteilung…ja selbst Super Mario geht einem wesentlich leichter von der Hand, wenn sich Luigi mit einklinkt. Der Optimalzustand des Menschen besteht nun mal darin, dass er sich zum Kollektiv zusammentut – sei es in Form einer Partnerschaft, einer Familie, einer Freundschaft oder eines Kegelvereins.
Gott sei Dank bin ich nicht allein – ich habe nämlich auf die Zahl genau 478 Freunde. Ja-ha, da werden Sie neidisch, nicht? Und wenn Sie mir nicht glauben, können Sie es schwarz auf weiß nachlesen. Bei Facebook. Die Menschheit hat ja bisher im Laufe ihrer technisch-fortschrittlichen Evolution die tollsten Dinge hervorgebracht – aber seien wir doch mal ehrlich: was sind schon Dinge wie die Erfindung des elektrischen Lichts, des Rads oder der kalorienreduzierten Mikrowellengerichte gegen die unglaublichen Vorzüge des sogenannten ‘social networking’?
Mit nur ein paar Mausklicks stehe ich in engstem Kontakt mit Freunden auf der ganzen Welt und muss selbst für einen unverbindlichen Flirt mit dem potentiellen Begattungspartner nicht einmal vorher die Zähne putzen oder gar frische Unterwäsche anziehen. Stupsen statt duschen – toll, was man da an Wasser- und Heizkosten einsparen kann! Man wird auch viel häufiger eingeladen als früher! Und das ist gut für das Ego. Man muss auch nie wieder Angst haben, eine Veranstaltung zu versäumen – selbst jene Veranstaltungen, die man niemals besuchen würde – schließlich wird man dank des nimmermüden, übereifrigen Enthusiasmus unserer Partymacher-Freunde im Minutentakt darauf hingewiesen.
Auch private Befindlichkeiten lassen sich toll über dieses Medium austragen. Jederzeit kann man seine Freunde überall auf der Welt über seinen Seelenstatus oder die Konsistenz seines Morgenstuhls informieren und auch wenn es einem mal nicht so gut geht, befragt man einfach die allwissende Glücksnuss und lässt die gesamte Öffentlichkeit daran teilhaben – ob sie will oder nicht. Freunde müssen schließlich füreinander da sein. Ja, hier im ‘social network’ wird ‘sozial’ noch groß geschrieben!
Es ist schon verblüffend, wie viele grundelementaren Dinge aus dem zwischenmenschlichen Bereich man heutzutage über den Computer erledigen kann: man findet sich über eDarling, trennt sich über Facebook und zeugt seinen Nachwuchs vielleicht sogar bald über WLAN, wer weiß.
Dabei habe ich mir die Zukunft unserer Zivilisation irgendwie anders vorgestellt. Was ist nur passiert?? Unsere Erwartungen an Utopia waren wohl einfach zu hoch: schließlich sind wir vor 25 Jahren noch davon ausgegangen, dass wir im Jahr 2015 auf unseren Hoverboards durch neonfarbene Innenstädte schweben, um uns mit der hübschen Androidin vom Neptun auf einen Kaffee zu treffen. Aber weit gefehlt: die scheinbar einzigen bedeutsamen Errungenschaften, die uns der vermeintlich rasend-schnelle technische Fortschritt bisher beschert hat, sind batteriebetriebene Pfeffermühlen, Universalfernbedienungen und sprechende Parkhausautomaten. Na super. Schauen wir der ungeschminkten Wahrheit in ihr faltiges Gesicht: das 21. Jahrhundert ist einfach rotzelangweilig! So langweilig, dass die Menschheit scheinbar nichts anderes mehr zu tun hat, als sich gegenseitig mit Belanglosigkeiten, irrelevanten Informationen über uninteressante Tagesaktivitäten und irgendwelcher Farmville-Anfragen auf die Nüsse zu gehen. Oder man verbringt seine Zeit damit, sich durch Urlaubsfotos des eingangs erwähnten Begattungspartners mit seiner neuen Flamme zu klicken, um im Anschluss aufgrund seiner eigenen sozialen Unzulänglichkeit zu verzweifeln.
Ja – wir alle sind mittendrin in einer Zukunft, die eigentlich keiner jemals haben wollte.
Aber immerhin habe ich die tröstende Gewissheit, dass ich nicht alleine bin. Sieh her, Goethe – ich bin nicht allein! Nicht allein…
…aber warum zum Teufel schreibt mich dann keiner an??
Seid ihr etwa alle nicht am Rechner?
Oder liegt es gar an mir?
Ich habe heute doch extra geduscht!
Und während draußen die rote Sonne am Horizont versinkt, starre ich mit roten Augen weiterhin durch den flimmernden Monitor in die schöne neue Welt, in der es niemals dunkel wird. Und erst, als mir die Chatfunktion mit verbindlicher Verlässlichkeit versichert, dass ‘keiner meiner 478 Freunde zur Verfügung steht’, schalte ich mich auf Standby und gehe weinend zu Bett.
Alleine.
Text Herr von Keil
Illustration Tim Brackmann