Die Invasion der Rollkoffer

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Die Invasion der Rollkoffer

Mit aller Macht bricht er herein über unserer Stadt – der Frühling.
Endlich!
Nach scheinbar endlosen Monaten dröger Düsternis darf sich Berlin nun wieder von seiner schönsten Seite zeigen und die Menschen strömen scharenweise aus ihren Höhlen hinaus ins Freie, um sich den Muff des Winters aus dem Pelz zu schütteln. Und dann sitzen wir draußen, trinken unseren Kaffee und stellen wie jedes Jahr auf’s Neue fest, weshalb wir hier leben und warum wir sie so lieben – unsere Perle an der Spree.
Das alles könnte so schön sein – doch mit der Sonne spült es auch wieder all die psychologischen Schwerfälle zurück ans Licht, die nur darauf gewartet haben, endlich wieder eine ganze Sommersaison lang ihr Stoffbeutelchen voller Neurosen ausführen zu können. Jene Exemplare trifft man bevorzugterweise an sozialen Ballungszentren wie zum Beispiel dem Sonntagsflohmarkt im Mauerpark, stets bemüht den natürlich-urbanen Charme solcher Orte mit pseudo-elitärem Chauvinismus und unangebrachter Egomanie zu vergiften. – “It’s so Berlin, y’know.”
“Das ist so Berlin” – für all jene, die der englischen Sprache nicht ganz so mächtig sind. Dabei wird Zweisprachigkeit vielerorts mittlerweile ja schon vorausgesetzt – ist unsere Hauptstadt schließlich mittlerweile auch für Besucher aus dem Ausland ein überaus attraktiver Anziehungspunkt. Besonders Besucher aus der Mittelmeerregion und der iberischen Halbinsel haben Berlin längst für sich als primäres Urlaubsziel auserkoren und die Zahl der Übernachtungen steigt von Jahr zu Jahr. Das freut unsere gebeutelte Stadtkasse natürlich sehr. Man könnte es mittlerweile gar als Spaniens Rache für die deutsche Dauerinvasion auf Mallorca halten – gemessen am Grad der Unerträglichkeit des deutschen Durchschnittsurlaubers könnte man derlei Absichten seitens der Spanier sogar noch für gerechtfertigt halten. Aber dass nur wir als Hauptstädter die Suppe auslöffeln müssten, wäre unter diesem Aspekt allerdings mehr als unfair. – “Whatever.”
Daher rumort es seit einigen Wochen ganz gewaltig in den Berliner Szenevierteln: ‘Was wollen die eigentlich hier?’ pöbeln die genervten Anwohner. Gemeint sind all jene vergnügungssüchtigen Wochenend-Touristen aus der europäischen Nachbarschaft wie Italien, Spanien und Dänemark, die das berühmt-berüchtigte Berliner Nachtleben in vollen Zügen auskosten und mal richtig die Sau rauslassen wollen. Dass das den schlaflosen Kiezbewohnern solch unfreiwilliger Partymeilen irgendwann mächtig auf den Zeiger geht, ist nur zu gut nachvollziehbar – umso unverständlicher erscheint die Tatsache, dass andere Leute das scheinbar nicht verstehen können:
“Dann zieh halt nach Stuttgart, da hast du dann deine Ruhe!” – um irgendein saudummes Gegenargument ist die Weltverbesserungsliga ja schließlich nie verlegen. Tja, ihr habt ja auch gut reden von euren grünenden Dachterrassen zur Südseite – ihr müsst ja morgens nicht durch Pissepfützen, Glassplitter und Kotzlachen staksen um die U-Bahn zur Arbeit zu kriegen!
Manch einer von denen geht sogar noch weiter und wirft einem gar eine neue Form von akut-lokalem Fremdenhass vor. …Bitte?? Natürlich nervt es, wenn Maria, Teresa, Mercedes und Alejandro Mittwochnachts um halb drei vor deinem Schlafzimmerfenster die Stadtpläne auspacken und lauthals beratschlagen, in welche In-Lokalität man als nächstes ziehen soll. Und wie das nervt! Aber mindestens genauso nerven auch Dominik, Steffi, Patrick und Lars, wenn sie Freitagnachmittags in der U5 ihr jeweils sechstes alkoholisches Mischgetränk zu sich nehmen und währenddessen lautstark feststellen, dass es zuhause in Neckarsulm ja viel sauberer sei als in Berlin. Allein diese Tatsache sollte vorangehende Unterstellungen im Keim ersticken.
Aber egal in welche Richtung sich diese Diskussionen auch immer entwickeln werden, so wird es eine traurige Gewissheit bleiben, dass die empirische Idiotenquote einer 4-Millionen-Einwohner-Stadt ja leider auch dementsprechend hoch ausfallen muss. Ob die nun aus Barcelona, Hattersheim-Okriftel oder dem zweiten Stock des Nachbarhauses kommen, spielt überhaupt keine Rolle – laute, rücksichtslose Menschen sind nun mal generell scheiße. Und wer anderen ungefragt in den Hausflur pisst, benimmt sich einfach ungehörig. Das ist keine Frage von gegenseitiger Toleranz, sondern schlicht und einfach von gutem Benehmen.
Wenn man beim Kacken schon Streifen hinterlässt, hat man eben auch die Klobürste zu benutzen – Punkt.
Somit bleibt mein bescheidener Appell an die Spaßtouristen von außerhalb: Kommt her, habt Spaß – aber nehmt doch gefälligst einfach ein Quäntchen mehr Rücksicht auf die Menschen, die in dieser Stadt leben. Irgendwann brauchen wir ja auch mal unsere Ruhe – schließlich ist es anstrengend, ständig so hip zu sein!

Text Herr von Keil

Illustration Tim Brackmann

 

 

 

 

 

 

 

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