“Wer arbeiten kann, kann auch feiern.”
Irgendwie so ging doch das Sprichwort, oder? Arbeit haben wir alle ja mehr als genug, Gründe zur konstitutionierten Ausgelassenheit glücklicherweise ebenso: Geburtstag, Weihnachten, Ostern – irgendeinen Grund zum Feiern hat man ja immer irgendwie. Und wenn nicht, dann sucht man sich eben einen.
Es gibt ja im Laufe eines Kalenderjahres die bizarrsten Gedenk- und Feiertage, die man sich vorstellen kann – zum Beispiel den “Internationen Tag der Händehygiene” am 5. Mai. Auch der “Welthurentag” am 2. Juni oder der “Internationale Tag der Putzfrau” am 8. November hinterlässt beim einen oder anderen möglicherweise berechtigte Zweifel bezüglich der Notwendigkeit. Das sieht beim Valentinstag natürlich ganz anders aus: ein Tag wie Seide und Chiffon; gewidmet all denen, die sich ganz dolle lieb haben. Ein Tag im Jahr, an dem die Menschheit das zelebriert, was sie doch immer wieder im tiefsten Inneren zusammenhält: die Liebe.
Welch wundervoller Gedanke – und selbst, während ich diese Zeilen schreibe, entfährt ein leiser Seufzer der Glückseligkeit meiner versteinerten Brust. Der ansonsten so allgegenwärtige bitterböse Zynismus weicht dem zärtlichen Geflatter tausender bunter Schmetterlinge und ich möchte am liebsten sofort damit beginnen, Rosenblätter zu streuen und mit Teelichtern romantische Liebesbotschaften auf den Fußboden meiner Wohnung zu schreiben – dann aber fällt mir ein, dass mir dazu ja etwas ganz Essentielles fehlt: ich habe ja gar keinen Partner! Scheiße.
Und jetzt? Was sollen denn jetzt all die Menschen machen, die alleine durch’s Leben gehen?
Sollen wir etwa solange draußen warten, bis ihr euren Romantik-Scheiß fertig zelebriert habt oder was? Das ist doch wirklich nicht fair!
Warum zum Teufel gibt es keinen Ehrentag für all die Singles, Alleinstehenden und Sitzengelassenen dieser Welt?? Oder wer gedenkt den armen Opfern, deren Herz Armors Liebespfeil eben nicht getroffen, sondern nur tödlich verwundet hat? Das juckt natürlich wieder mal keine Sau! Apropos Amor – dass dieser Kerl überhaupt noch seiner Tätigkeit nachgehen darf, ist mir ein Rätsel: wie oft der schon daneben geschossen hat, lässt sich ja kaum noch zählen. Da zielt ja jeder besoffene Schützenkönig besser! Es sollte uns wahrlich zu denken geben, dass zwei scheinbar solch bedeutungsferne Begriffe wie “Amor” und “Amok” ein verblüffend ähnliches Wortbild aufweisen.
Dabei gibt es noch so viele andere wichtige Dinge im Leben, denen kein eigener Tag gewidmet ist: warum gibt es beispielsweise keinen “Internationen Tag des Stuhlgangs”? Liebe ist überall, klar – Kacke aber schließlich auch! Man hat sie unter den Schuhen, auf der Windschutzscheibe und hört sie jeden Tag im Radio. Wir haben sie immer dabei , egal wohin wir gehen, und nicht selten scheint sogar das ein oder andere menschliche Gesicht aus ihr geformt worden zu sein. Gut, Geruch und Erscheinungsbild sind nicht so angenehm wie Rosenduft und Schmetterlinge – aber gerade wo doch Liebe sprichwörtlich durch den Magen geht, sollte meiner Meinung auch dem menschlichen Stoffwechsel ein Gedenktag vergönnt sein. Verrückte Welt.
Okay, man muss zugegebenermaßen bei diesen ganzen Feiertagen auch irgendwo an die Marktwirtschaft denken: wenn man keinen Umsatz erzielen kann, ist der ganze Aufwand ja witzlos – das gilt für den Valentinstag genauso wie für den Welthurentag. Wie schon eingangs erwähnt, ist es – so sagt es der Volksmund – nun mal ‘die Liebe, die die Welt im Inneren zusammenhält.’ Und wenn die Liebe dann auch noch mit dem Geld (welches ja bekanntlich auch die Welt regiert) kooperiert, hat Kacke in diesem Zusammenhang einfach keine Chance. ‘Verschissen’ sozusagen, im wahrsten Sinne des Wortes. Somit steht’s 1:0 für die Blumenhändler, die Nippeslädchen und natürlich für Valentin – wer auch immer er sein mag.
Machen wir uns also nichts vor – unser Leben ist nur halb so viel wert, wenn man es nicht mit jemandem teilen kann, sei es ein Goldfisch, ein Hund oder eben ein Partner. Und auch wenn es irgendwie einen schalen Geschmack hinterlässt: freuen wir uns gemeinsam mit all den glücklichen Partnern und Partnerinnen über ihre duftigen Blumensträuße und knuddeligen Diddl-Tassen, was anderes bleibt uns ja schließlich nicht übrig. Sind wir als Singles zwar für diesen einen Tag die Aussätzigen der Gesellschaft, so bleibt uns immerhin die tröstende Gewissheit, dass wir wenigstens unseren Stoffwechsel haben, der mit uns gemeinsam durch Dick- und Dünndarm geht.
Und während der Rest der Welt sich da draußen für einen Tag ganz dolle lieb hat, bleib ich einfach zuhause, zünde ein paar Kerzen an und schreibe mit dem Hundekot unter meinen Schuhen eine Ode an die Verdauung auf den Fußboden meiner Wohnung:
“Hängt in der Hose dir ein Brocken,
so war der Morgenstuhl schön trocken.
Doch sicherlich macht’s auch mal Spaß,
ist der Stuhlgang auch mal nass.
‘Mach weiter so!’, so rufen wir,
liebes Gedärm – ick liebe dir.”
Text Herr von Keil
Illustration Tim Brackmann
Hoppla – da ist etwas schiefgelaufen.
“Wer sich der Einsamkeit ergibt, ach! der ist bald allein.”
Ja, Goethe war schon ein schlauer Mann.
Und wer ist schon gern allein? Auf wie viele tolle Dinge müsste man verzichten, wenn man nicht mindestens einen anderen Menschen an seiner Seite hat: Discofoxturniere, Teamsitzungen, Arbeitsplatzteilung…ja selbst Super Mario geht einem wesentlich leichter von der Hand, wenn sich Luigi mit einklinkt. Der Optimalzustand des Menschen besteht nun mal darin, dass er sich zum Kollektiv zusammentut – sei es in Form einer Partnerschaft, einer Familie, einer Freundschaft oder eines Kegelvereins.
Gott sei Dank bin ich nicht allein – ich habe nämlich auf die Zahl genau 478 Freunde. Ja-ha, da werden Sie neidisch, nicht? Und wenn Sie mir nicht glauben, können Sie es schwarz auf weiß nachlesen. Bei Facebook. Die Menschheit hat ja bisher im Laufe ihrer technisch-fortschrittlichen Evolution die tollsten Dinge hervorgebracht – aber seien wir doch mal ehrlich: was sind schon Dinge wie die Erfindung des elektrischen Lichts, des Rads oder der kalorienreduzierten Mikrowellengerichte gegen die unglaublichen Vorzüge des sogenannten ‘social networking’?
Mit nur ein paar Mausklicks stehe ich in engstem Kontakt mit Freunden auf der ganzen Welt und muss selbst für einen unverbindlichen Flirt mit dem potentiellen Begattungspartner nicht einmal vorher die Zähne putzen oder gar frische Unterwäsche anziehen. Stupsen statt duschen – toll, was man da an Wasser- und Heizkosten einsparen kann! Man wird auch viel häufiger eingeladen als früher! Und das ist gut für das Ego. Man muss auch nie wieder Angst haben, eine Veranstaltung zu versäumen – selbst jene Veranstaltungen, die man niemals besuchen würde – schließlich wird man dank des nimmermüden, übereifrigen Enthusiasmus unserer Partymacher-Freunde im Minutentakt darauf hingewiesen.
Auch private Befindlichkeiten lassen sich toll über dieses Medium austragen. Jederzeit kann man seine Freunde überall auf der Welt über seinen Seelenstatus oder die Konsistenz seines Morgenstuhls informieren und auch wenn es einem mal nicht so gut geht, befragt man einfach die allwissende Glücksnuss und lässt die gesamte Öffentlichkeit daran teilhaben – ob sie will oder nicht. Freunde müssen schließlich füreinander da sein. Ja, hier im ‘social network’ wird ‘sozial’ noch groß geschrieben!
Es ist schon verblüffend, wie viele grundelementaren Dinge aus dem zwischenmenschlichen Bereich man heutzutage über den Computer erledigen kann: man findet sich über eDarling, trennt sich über Facebook und zeugt seinen Nachwuchs vielleicht sogar bald über WLAN, wer weiß.
Dabei habe ich mir die Zukunft unserer Zivilisation irgendwie anders vorgestellt. Was ist nur passiert?? Unsere Erwartungen an Utopia waren wohl einfach zu hoch: schließlich sind wir vor 25 Jahren noch davon ausgegangen, dass wir im Jahr 2015 auf unseren Hoverboards durch neonfarbene Innenstädte schweben, um uns mit der hübschen Androidin vom Neptun auf einen Kaffee zu treffen. Aber weit gefehlt: die scheinbar einzigen bedeutsamen Errungenschaften, die uns der vermeintlich rasend-schnelle technische Fortschritt bisher beschert hat, sind batteriebetriebene Pfeffermühlen, Universalfernbedienungen und sprechende Parkhausautomaten. Na super. Schauen wir der ungeschminkten Wahrheit in ihr faltiges Gesicht: das 21. Jahrhundert ist einfach rotzelangweilig! So langweilig, dass die Menschheit scheinbar nichts anderes mehr zu tun hat, als sich gegenseitig mit Belanglosigkeiten, irrelevanten Informationen über uninteressante Tagesaktivitäten und irgendwelcher Farmville-Anfragen auf die Nüsse zu gehen. Oder man verbringt seine Zeit damit, sich durch Urlaubsfotos des eingangs erwähnten Begattungspartners mit seiner neuen Flamme zu klicken, um im Anschluss aufgrund seiner eigenen sozialen Unzulänglichkeit zu verzweifeln.
Ja – wir alle sind mittendrin in einer Zukunft, die eigentlich keiner jemals haben wollte.
Aber immerhin habe ich die tröstende Gewissheit, dass ich nicht alleine bin. Sieh her, Goethe – ich bin nicht allein! Nicht allein…
…aber warum zum Teufel schreibt mich dann keiner an??
Seid ihr etwa alle nicht am Rechner?
Oder liegt es gar an mir?
Ich habe heute doch extra geduscht!
Und während draußen die rote Sonne am Horizont versinkt, starre ich mit roten Augen weiterhin durch den flimmernden Monitor in die schöne neue Welt, in der es niemals dunkel wird. Und erst, als mir die Chatfunktion mit verbindlicher Verlässlichkeit versichert, dass ‘keiner meiner 478 Freunde zur Verfügung steht’, schalte ich mich auf Standby und gehe weinend zu Bett.
Alleine.
Text Herr von Keil
Illustration Tim Brackmann